Geschichte zur Kirche

Die evangelische Pfarrkirche von Hessigheim

Die besondere Lage des alten Weingärtnerdorfs Hessigheim rührt her von der stets wech­selnden Gestalt des Neckartals. Wahrend der Hauptteil des Dorfs sich auf dem „Hambach“, dem als Gleithang tafelförmig vorgeschobenen Podest in einer Neckarschleife, ausbreitet, liegt der Bereich der hoch am nördlichen Ende gele­genen Kirche bereits am Prallhang der nächsten Neckarschleife (mit Mundelsheim).
Erste Erwähnung des Orts findet sich bereits 774, also in karolingischer Zeit. Zunächst hatte hier das Kloster Lorsch, dann Fulda Güter, zuletzt Hirsau, welch letzteres um 1100 mit Gütern in Hessigheim beschenkt wurde. Das Kloster konnte seinen Besitz in den nächsten Jahrhun­derten ständig erweitern, so dass es schließlich alle geistlichen Liegenschaften besaß. Lager­buch von 1522: „Die Eigenschaft des Dorfes Hessigheim gehört dem Gotteshaus Hirsau mit allem Zubehör.“ Der Ort besaß vom 12. bis 14. Jahrhundert einen eigenen Adel, der wiederholt als Wohltäter des Klosters Hirsau auftritt. Den weltlichen Machtwechsel teilte Hessigheim mit Besigheim, es war badisch, pfälzisch, wieder ba­disch und seit 1595 württembergisch. Heute be­findet sich am Rande des Dorfes eine der zahllo­sen Neckar-Staustufen.
Der besondere Reiz an der Lage der Dorfkir­che ist ihr Platz hoch über dem Neckar. Ihr das Dorfbild prägender Charakter zeigt sich beson­ders malerisch vom anderen Neckarufer aus. Man sieht es der so freundlich dreinschauenden Kirche nicht an, dass sie einige, zum Teil wohl letztlich nicht exakt lösbare baugeschichtliche Probleme aufgibt.
Zuvor jedoch der Kirchenhei­lige: Die Oberamtsbeschreibung Besigheim von 1853 nennt als Kirchenheiligen St. Martin, und dieser Heilige wird nicht nur überall in der Lite­ratur, sondern vorweg auch in Hessigheim sel­ber für unumstößlich befunden. Ein beweisen­der urkundlicher Beleg bleibt aus! Demgegen­über im Staatsarchiv Ludwigsburg, Lagerbuch­auszug 1684.
„Das Kloster Hirsau hat die Obrig­keit über die Kirchen, die Pfarrer, derselben Güter, auch über den heiligen Stephanus da­selbst.“ An anderer Stelle:
„Des heiligen Stephanus eigene Güter in Hessigheim.“ Schließlich steht als Vorbemerkung in einem Repertorium: „Besitzungen in Hessigheim gelangten schon im frühen 12. Jahrhundert an Kloster Hirsau, dar­unter auch die Ortskirche St. Stephan.“ Schließ­lich erwähnt Hoffmann (Kirchenheilige in Würt­temberg) bei Hessigheim: „Patronat: Kloster Hirsau, erwähnt ca. 1150 (Cod. Hirs.) Heiliger: Stephan (1555) lt. Gültbüchlein im Finanzarchiv Ludwigsburg.“
Den letzten, zwingendsten Beweis für ein Stephanus-Patrozinium liefert die Kirche selbst. Sie ist ein einschiffiger Bau mit dreiseitig schlie­ßendem Chor und südlichem Chorseitenturm. Einst war sie rings vom Friedhof umgeben (heu­te erstreckt er sich nur noch nördlich). Laut Oberamtsbeschreibung war die Anlage samt Friedhof „mit doppelten Mauern und Zwinger umgeben“, wovon heute noch Reste zu sehen sind. Es handelt sich also um eine regelrechte „Wehrkirche“. Trotz dieser erfreulichen Realität des heutigen Baues liegt die Vorgeschichte ei­ner Hessigheimer Kirche im Dunkeln.
Man möchte annehmen, dass bereits zu Zeilen der ersten Nennung des Dorfes (774) oder bald danach eine primitive (Holz-?) Kirche bestanden hat. Historisch einwandfrei ist eine Kirche je­doch erst um 1150 belegt. Laut Codex Hirsaugiensie Fol 52A schenkte Erkinbert von Dunckendorff (Thurndorf, Nähe Bad Kissingen) „die Kirche und alles, was er in Hessigheim besaß, mit allem Recht, Freiheit und Unantastbarkeit, womit er es selbst besessen hatte, uns (dem Kloster Hirsau)“. Somit stand von da an die Kirche auch hinsichtlich eines Bauwesens unter Hirsauer Regie. Dennoch ist es unbekannt, wie damals und in der Folgezeit eine „Hirsauer“ Kir­che in Hessigheim ausgesehen hat, und es bleibt mangels informativer Grabungen bei Vermu­tungen. Geht man jedoch vom heutigen Bau aus, so zeigt die Betrachtung eines Grundrisses der östlichen Partien desselben einschließlich des Turmes, dass letzterer zweifellos der älteste Bauteil ist, an den Chor und Schiff erst nach­träglich angebaut wurden. Die mehrfach geäu­ßerte Vermutung, der Turm sei von einer alten Chorturmkirche übernommen und sein Erdge­schoß, die heutige Sakristei, sei der ehemalige Chor, ist wenig glaubhaft, zumal sich in der Westwand des Turmes kein vermauerter ehemaliger Chorbogen nachweisen lässt. Man hat im­mer versucht, Turm und Kirche in dieselbe frü­he Zeit zu setzen, und sogar behauptet, das Ge­wölbe in der heutigen Sakristei sei noch aus romanischer Zeit (Ausnahme F. Wiedermann, der sich in HgW 8, 1957, sehr ausführlich und sorgfältig mit der Kirche beschäftigt hat). Tat­sächlich scheint jedoch die östliche Partie der Kirche stilistisch viel eher einheitlich aus dem 15. Jahrhundert zu stammen, unter Verwendung eines alten, bereits vorhandenen Befestigungs- oder Wachtturmes (Burg der Herren von Hessigheim?), an den das übrige angebaut wur­de. Dabei bleibt die Frage der genauen Lage eines Vorgängerbaues offen. Es ist also ein „Neubau“ mit altem Turm im 15. Jahrhundert anzunehmen.

Der Chor, nach Osten mit drei schlanken Maßwerkfenstern ab­schließend, besitzt ein Netzgewölbe mit spätgo­tischen Schluss-Steinen, die Sakristei ein von Fratzen ausgehendes Kreuzgewölbe mit Rose als Schluss-Stein (auch im 15. Jahrhundert waren solche Fratzen noch durchaus üblich!), und außerdem weist die Kirche im Schiff vor dem Chorbogen eine ausgesprochen spätgotische, sehr bemerkenswerte Architektur auf. Zur Zeit dieser Kirche betrug die Länge des Schiffs, das man sich mit einem Westgiebel vorzustellen hat, nur zwei Drittel seines heutigen Ausmaßes. Die Folgezeit bringt einige wenige markante Ereig­nisdaten. Die Jahreszahl 1612 über dem westli­chen Eingangsbogen in der Umfassungsmauer bedeutet vielleicht auch gleichzeitige Baumaß­nahmen an der Kirche, zumal von den Fenstern im Schiff nur die beiden beim Chorbogen gele­genen Fenster als gotische Maßwerkfenster (mit erneuertem Maßwerk!) erhalten, die übrigen je­doch sämtlich verändert sind oder neuerer Zeit angehören. Wesentlich für das äußere Bild war das Unglück, als 1756 durch einen Orkan das bisher in Fachwerk errichtete Glockengeschoss des Turmes (so noch auf dem Ortsbild von Kie­ser um 1680) samt Zeltdach vernichtet wurde. 1757 errichtete man dieses Geschoß in Steinbau­weise samt Zeltdach neu. Es besitzt seither die rundbogigen Schallfenster. 1772 wurde das Schiff nach Westen um ein Drittel (24 Fuß) ver­längert und um etwa einen Meter (drei Fuß) vertieft (seither Walmdach!). Bei dieser Gelegen­heit wird wohl auch das Emporenwerk an Nord-, West- und Südwand des Schiffes erstellt worden sein. Der Zugang zur Südempore ge­schah über eine Außentreppe durch einen rundbogigen Eingang, der heute als Fenster dient. 1784 wird im Zusammenhang mit der Orgel der Orgelbauer Johann Michael Bühler aus Vaihingen/Enz erwähnt. Sie hatte einen barocken Pro­spekt, stand auf dem Chorboden und war zur Zeit der Oberamtsbeschreibung noch vorhan­den (siehe unten). 1861 trat an ihre Stelle eine Orgel mit neugotischem Prospekt von Weigle, Echterdingen, die auf die Westempore gestellt wurde.
Weitere Renovierungen können übergangen werden, bis 1949 nach langer Pause eine grund­legende Erneuerung notwendig geworden war. Unter der Leitung von Architekt Ruff (Stuttgart) brachte der erste Abschnitt die Entfernung einer zwischenzeitlich im Chor erstellten Empo­re sowie des dortigen Gestühls, eine Verände­rung des Kanzelaufgangs mit Entfernung des Schalldeckels, einen neuen Altar nach Entwurf des Architekten sowie sonstige Reparaturen und Instandsetzungen. Diese Arbeiten wurden mit dem Architekten Ruff 1963 fortgesetzt: Die Emporen an Nord- und Südwand wurden ent­fernt, die Westempore erweitert (hierbei einige alte Stützen verwendet) und 1965 eine neue Or­gel, nun wieder im Chor, eingeweiht (4. Advent). Inzwischen war eine neue Renovierung fällig. Unter Leitung von Architekt Schäfer (Ilsfeld) wurde 1988 eine Außenrenovierung des gesam­ten Gebäudes vorgenommen, wobei das gesam­te Mauerwerk, das bisher offen lag, unter Frei­lassung der Eckquader verputzt wurde. Hier­durch hat die Kirche sehr gewonnen, zumal die Qualität des Mauerwerks ein Sichtbarlassen nicht rechtfertigte. Eine Innenrenovierung soll im kommenden Jahr folgen.
Beim Betreten des Inneren durch den West­eingang fällt der Blick in dem sonst etwas kahlen Raum sofort auf die Hauptsehenswürdigkeit der Kirche, eine höchst eigenartige spätgotische Architektur vor dem Chorbogen. Ein schmales, oft als „lettnerartig“ bezeichnetes Gebilde über­spannt zierlich die ganze Wand. Zwei schlanke sechseckige Pfeiler tragen ein System aus drei wohlgebildeten  Netzgewölben.  Die  links  und rechts außen liegenden, quadratischen, öffnen sich zum Schiff mit Spitzbogen, das beide verbindende   rechteckige  Mittelstück   mit  einem Rundbogen.  Genau genommen  ist der Begriff „Lettner“ hier fehl am Platz. Man versteht dar­unter das Verbindungsstück zwischen den Bal­dachinen zweier Seitenaltäre als eine Brücke vor dem Chorbogen in etwa zwei Drittel Raum­höhe.   Vom   Lettner   herab   wurde  vorgelesen oder auch gesungen. Die in Hessigheim bis zur flachen   Schiffsdecke  reichende   Konstruktion kann nur bedeuten, dass man hier ebenfalls bis zur Decke reichende Altarbaldachine (daher die beiden Maßwerkfenster zur Ausleuchtung der Altäre) analog zu einem Lettner mit einem Zwi­schenstück   verbunden   hat.   Es   handelt   sich demnach um eine absolute Rarität! Unter dem nördlichen  „Baldachin“  steht ein  bemerkens­wertes spätgotisches Taufbecken, das an vier seiner acht Seiten Wappenschilde mit folgenden Darstellungen trägt: Einen Abtstab (Kloster Hirsau),  einen  Kelch  (Pfarrersymbol),  eine Hape (Fleckenzeichen)    und   ein    Steinmetzzeichen. Über  dem  Taufbecken   befindet  sich   an   der Chorbogenwand  das kunstvoll gestaltete Epi­taph für die 1665 verstorbene Ursula Barbara Villingerin, die Ehefrau des Hirsauer „Kellers allhier“ Leonhard Waldensperger. Das mit rei­chem, schon dem Barock zugewandten Schnitz­werk versehene Denkmal zeigt neben ausführli­chen Texten und dem oben angebrachten ova­len Brustbild der Verstorbenen als Zentralbild die „Verklärung Christi“. In dem rundbogigen Fenster der Schiff-Südwand, dem einstigen Zu­gang zur Südempore, befindet sich ein Glasgemälde mit Christus als „Weinstock“, umgeben von der Gemeinde als „Reben“, eine Stiftung der Kirchengemeinde anlässlich der Renovie­rung von 1963. Der große Kronleuchter wurde 1864 von einer Hessigheimerin gestiftet. Beim Betreten des Chors durch den gotischen Spitz­bogen steht man unmittelbar vor der schlichten Altarmensa und einem kunstreich gearbeiteten Altarkruzifix, der aus einer Werkstatt in Ober­ammergau stammt und 1934 von Gemeindeglie­dern gestiftet wurde. Leider verdeckt die dahin­ter im Chor stehende monströse Orgel die drei Maßwerkfenster, deren Gewände mit Renaissanceornamenten bemalt sind, fast vollständig!
Hauptsehenswürdigkeit ist hier das schöne Chorgewölbe mit seinen drei bedeutsamen Schluss-Steinen. Hierbei ist sowohl ihre Ausfüh­rung als auch ihre Reihenfolge von bedeutender Aussagekraft. Im Osten, am bevorzugten Platz, von dem fünf Rippen des Gewölbes ausgehen (von den anderen nur vier), befindet sich ein Schluss-Stein mit einem von einem Dreieck durchdrungenen Dreipass. Im Dreieck steht ein junger Mann mit betend zusammengelegten Händen, in der weißen Tracht des Märtyrers und mit zwei goldenen Steinen auf dem Kopf. Es handelt sich hier einwandfrei um St. Stephanus, und der „bevorzugte“ Platz beweist, dass er der Kirchenheilige ist (Gegenbeispiele für St.-Martin-Schluss-Steine in Martins-Kirchen: Korn­westheim und Enzweihingen). Den Mittelplatz nimmt, wie ihrer Rangordnung zukommend, stets die Gottesmutter ein, die stets ebenfalls Patronin jeder Kirche ist. Sie erscheint als Strahlenkranzmadonna, herrlich gekrönt und auf der Mondsichel stehend, in einem von einem Quadrat durchsetzten Vierpass. Nächst dem Chorbogen zeigt der dritte Schluss-Stein in einem einfachen Dreipass den heiligen Veit im Ölkessel. Er gehört zu den Nothelfern, die gerade im Spätmittelalter besondere Bedeutung gewon­nen hatten. Edle spätgotische Steinmetzkunst zeigt auch die leider ebenfalls von der Orgel verdeckte Sediliennische in der Chorsüdwand sowie die daneben liegende Sakristeipforte. Ein Unikum ist der Aufgang in die Turmoberge­schosse in Form eines runden Wendeltreppen­turms neben der Sakristeitür, der oben in eini­ger Höhe offen endet und zu einem Turmpförtchen führt. Unten führt er mit einigen Stufen über eine Öffnung Richtung Schiff zur vorge­schobenen Kanzel. Eine etwas unartikulierte Öffnung gegen den Chor führte zu der erwähn­ten kurzzeitigen Chorempore. In der Sakristei ist außer dem Kreuzgewölbe über Fratzenkon­solen und Rose als Schluss-Stein östlich eine hüb­sche Piscina zu beachten, heute geschmackvol­ler Platz für einen kleinen Kruzifixus. Hierzu ein Ausschnitt aus der Pfarrbeschreibung von 1829: „Die Sakristei ist unten im Thurm, an einem wegen der oben hängenden Uhrsteine sehr ge­fährlichen Platz, von denen schon einmal die Decke durchschlagen worden . . .“ Diese Gefahr besteht heute im „elektrischen Zeitalter“ nicht mehr!
Leider ist eines wertvollen „verlorenen Denk­mals“ zu gedenken. Die schon oft erwähnte Oberamtsbeschreibung von 1853 schreibt: „An der Brüstung der im Chor aufgestellten Orgel hängt ein hölzerner Flügelaltar, an dessen Flügelaußenseiten Jacobus und Johannes ziemlich gut gemalt sind. Das Mittelfeld des aufgeschla­genen Altarschranks enthält die aus Holz ge­schnitzte Maria mit dem Jesuskinde und neben ihr Magdalena in einem Buch lesend. Oberhalb ist sehr schönes in germanischem (gotischem) Geschmack gehaltenes Schnitzwerk ange­bracht. Auf der Innenseile der linken Flügeltür befindet sich Joseph in Holz geschnitten, auf der rechten ist die ursprünglich hölzerne Figur durch ein schlechtes Gemälde ersetzt. Der Altar ist gut gehalten, aber durch späteren Anstrich sehr entstellt.“
Dieses Kunstwerk ist spurlos verschwunden! Eine im Pfarrhaus vorgefundene Notiz besagt, dass der Altar eines Tages „um den Holzwert“ an einen Altertumshändler verkauft wurde. Dieser Verkauf muss in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts stattgefunden haben, jedenfalls nach Erscheinen der Oberamtsbeschreibung (1853). Spätere Erwähnungen des Altars als existent sind mit Vorsicht zu genießen, sofern es sich nicht um echte Augenzeugenberichte handelt, denn die Autoren konnten leicht den Befund von der Oberamtsbeschreibung abschreiben! Der überlieferte Grund des Verlusts erinnert an das Schicksal wertvoller Glasgemälde im Chor der Kleinbottwarer Kirche. Sie wurden 1838 von einem herumreisenden jüdischen Händler na­mens Ballenberg gegen Einsetzen von „Klar­scheiben“ abgeholt. Fünf davon konnten unter­dessen in zwei Museen (Nürnberg und Schloss Lichtenstein) wiederentdeckt werden. Ähnliches Glück wird dem Hessigheimer Altar kaum widerfahren!
Außen an der Südseite des Schiffs und am Turm befinden sich vier steinerne Grabmäler unterschiedlicher Erhaltung. Links vom Süd­portal das bestens erhaltene Grabmal dos Schultheißen Balthasar Veigel, gest. 1608. Rei­ches Renaissancedekor! Rechts vom Portal das Grabmal der 1646 jung verstorbenen Frau Su­sanna Plieningerin, Ehefrau des 1642 bis 1675 in Hessigheim amtierenden Pfarrers Johann Bal­thasar Plieninger. Das leicht beschädigte Grab­mal zeigt außer einem ausführlichen Text die Verstorbene zwischen ihren beiden Familien-Wappen. Das dritte Grabmal, bereits stark ver­wittert (Turm-Westseite), betrifft den 1770 nach dreijähriger Amtszeit in Hessigheim an einem „ansteckenden Fleckenfieber“ verstorbenen Pfarrer Samuel Gottfried Kölle. Unten ist seine Witwe Charlotta Friderica Frischin samt fünf Kindern vermerkt. Völlig unleserlich geworden ist das vierte Grabmal an der Turm-Südseite. Urkundlich ließ sich jedoch feststellen, dass es
sich dabei um die 1611 verstorbene Frau Anna, Ehefrau des in Hessigheim 1603 bis 1633 amtie­renden Pfarrers Caspar Bischoff (Episcopus) nebst dem Sohn Tobias handelt. Somit sind hier steinerne Dokumente betreffs eines Schulthei­ßen und dreier Pfarrersfamilien aus Alt-Hessigheim.
Das direkt unterhalb der Kirche gelegene Pfarrhaus ist ein schmucker, kürzlich bestens restaurierter Fachwerkbau des 18. Jahrhun­derts. Die hinter der Kirche gelegene große Kel­ter wurde zum evangelischen Gemeindehaus umgestaltet. Somit bilden Kirche und Umge­bung ein erfreuliches Ensemble, das weiterhin erhaltenswert ist. Sollte die Innenerneuerung der Kirche wichtige neue Entdeckungen (Fres­ken?) bringen, soll zu gegebener Zeit an dieser Stelle darüber ergänzend berichtet werden. Im übrigen kann man nach obigen Ausführungen den Hessigheimern leider wohl kaum die Ent­täuschung ersparen, dass ihre gute alte Kirche keine „Martinskirche“, sondern eine Stephanskirche“ ist.

Markus Otto in „Hie gut Württemberg“,
Beilage der Ludwigsburger Kreiszeitung, 23.12.1989 (40. Jahrgang, 1989, Nr.4). 

Beschreibung der Kirche

Die Kirche ist ein einschiffiger Bau mit anschließendem Chor und südlichem Chorturm. Es handelt sich um eine Wehrkirche mit teilwei­se noch vorhandener Mauer und Eingangstor von 1612. Dahinter be­findet sich der Westeingang der Kirche, datiert auf 1772.
Im Inneren der Kirche fällt der Blick auf ein lettnerartiges Gebilde zwischen Chor und Schiff, mit spätgotischer Architektur. Zwei sechseckige Pfeiler tragen drei Netzgewölbe, links und rechts als Spitzbogen, in der Mitte als Rundbogen ausgebildet. In den Gewölbefeldern finden sich einfache (spätgotische) Blumenmalereien.
Das spätgotische, achteckige Taufbecken zeigt vier Wappenschilder: Abtstab (Kloster Hirsau), Kelch (Pfarrersymbol), Hape (Fleckensym­bol) und ein Steinmetzzeichen.
Das Wandepitaph mit barockem Schnitzwerk ist Ursula Barbara Villingerin gewidmet, Ehefrau des Leonhard Waldensperger vom Keller des Kloster Hirsau.
In der Mitte der Schiffsdecke hängt der große polimentvergoldete Kronleuchter, gestiftet 1864 von Ernestine Pauline Veigel. Das Kruzifix stammt aus einer Oberammergauer Werkstatt und wurde 1934 von Johannes Eisele und Friederike geb. Mozer gestiftet. An der Südwand vor der Kanzel findet sich ein Glasfenster (Christus als der Weinstock), gestiftet 1963 von der bürgerlichen Gemeinde.
Der Chor zeigt vier schlanke, hohe Maßwerkfenster mit Renaissance-Ornamenten, eine Sediliennische aus Sandstein und ein Netzgewölbe mit drei Schluss-Steinen aus der Spätgotik. Am bevorzugten Platz im Osten der Kirchenheilige Stephanus, stehend mit betenden Händen im weißen Märtyrergewand, auf dem Kopf zwei goldene Steine tra­gend. In der Mitte Maria als Strahlenkranzmadonna, gekrönt und auf einer Mondsichel stehend. Beim Chorbogen der Heilige St. Veit im Ölkessel gemartert.
Die Sakristei besitzt neben dem Kreuzgewölbe mit Fratzen und Kon­solen einen Schluss-Stein, der als Rose ausgebildet ist, sowie eine in Sandstein gehauene Piscina (Wasserbecken).

Zur Geschichte der Kirche und ihrer Orgeln

Die erste urkundliche Erwähnung einer Kirche in Hessigheim datiert um das Jahr 1150 (Codex Hirsau), als Schenkung von Erkinbert von Dunckendorff an das Kloster Hirsau.
Im 15. Jahrhundert wurde die jetzige Kirche, bestehend aus vorhan­denem Glockenturm, Chor und zwei Drittel des heutigen Kirchen­schiffs neu gebaut.
1756 wird das Fachwerk des Glockenstuhls samt Dachstuhl zerstört und durch einen Massivbau und ein neues Dach ersetzt.
1772 erfolgte die Erweiterung des Kirchenschiffs nach Westen auf die heutige Größe.
1784 Barock-Orgel im Chorraum erbaut von Johann Michael Bühler aus Vaihingen.
1861 Orgelbau mit neugotischem Prospekt auf der Westempore durch Fa. Weigle, Echterdingen.
1949 bei einer Renovierung unter Architekt Ruoff aus Stuttgart wer­den die Chorempore, das Chorgestühl und der Kanzelbaldachin ent­fernt.
1963 grundlegende Erneuerung unter demselben Architekten. Man entfernte die Seitenemporen mit den Außenaufgängen und baute eine neue, vergrößerte Westempore ein. Die Kirche erhielt eine neue Kanzel und neue Kirchenbänke.
1965 baut die Fa. Walcker aus Ludwigsburg eine neue Orgel in den Chorraum ein.
1988 Außenrenovierung der Kirche (Architekt Schäfer, Ilsfeld) mit vollständigem Neuverputz; die Eckquaderung wurde belassen. Die Kirchenfenster wurden isolierverglast, sowie eine neue Turmzier und ein neues Zifferblatt angebracht.
1990 Umfangreiche Renovierungs- und Restaurierungsmaßnahmen im Kircheninneren.
1992 Anbau eines Mesnerraumes an der Nordseite des Schiffs.
1993 Orgelneubau unter Verwendung alter Register in der Nordostecke des Kirchenschiffs (Lettner) durch Orgelbaumeister Reinhart Tzschöckel, Althütte-Fautspach.